Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt: Wie es dazu kommt und was dagegen hilft

Stell dir vor, du sitzt zu Hause, deine Bewerbung liegt vor dir, und du überlegst: «Wird man meiner Bewerbung überhaupt Aufmerksamkeit schenken?» Vielleicht bist du Ü50, hast einen ausländischen Namen, bist Mutter, oder einfach seit einiger Zeit ohne Job. Du weisst, dass du die passenden Fähigkeiten hast, aber immer wieder erhältst du Absagen – oder hörst gar nichts mehr. Wie würdest du dich fühlen? Leider ist genau das die Realität für sehr viele Menschen in der Schweiz.

Diskriminierung ist auf dem Schweizer Arbeitsmarkt Alltag: Eine von 5 Bewerbungen von Menschen mit Migrationshintergrund wird gegenüber Menschen ohne Migrationshintergrund benachteiligt (NCCR). Und dabei haben wir noch nicht über Alters- und Geschlechterdiskriminierung gesprochen. Wenn du jetzt denkst, dass dir das egal sein kann, weil du keiner diskriminierten Gruppe angehörst, hast du weit gefehlt. Denn Diskriminierung betrifft uns alle, ob direkt oder indirekt. Uns – als Schweizer Gesellschaft und Wirtschaft – entgehen dadurch viele Chancen.

Ursachen für Diskriminierung auf dem Schweizer Arbeitsmarkt

Diskriminierung kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden.

Altersdiskriminierung bei der Bewerbung

Ältere Arbeitnehmende sind, gemäss einem Bericht der Universität Zürich im Auftrag des SECO, in der Schweiz gut im Arbeitsmarkt integriert. Sie haben eine hohe Erwerbsquote: bis 59 Jahre über 80%, mit 62 Jahren noch über 63%. Die Erwerbsbeteiligung der 55- bis 64-Jährigen ist in den letzten 20 Jahren gestiegen. Dennoch haben ältere Arbeitslose oft mehr Mühe als jüngere, wieder eine Stelle zu finden, wenn ihnen gekündigt wurde. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen (mehr als ein Jahr arbeitslos) bei den 50-64-Jährigen ist mit gut 20% deutlich höher als insgesamt (SECO, Dezember 2024). Gemäss dem Basler Rechtsprofessor Kurt Pärli, weist die Schweiz im Vergleich zum Ausland ausserdem einen schwachen Schutz gegen Altersdiskriminierung auf. Es gibt zwar ein Diskriminierungsverbot in der Verfassung. Doch es fehlt an einem Gesetz zur tatsächlichen Umsetzung.

Bewerbungsfoto als Diskriminierungsfaktor

In den USA, Australien oder Grossbritannien werden in der Regel keine Fotos auf dem CV gezeigt. In der Schweiz ist ein Bewerbungsfoto zwar keine Pflicht, aber sehr üblich. Wer es weglässt, zieht schnell Verdacht auf sich, etwas verstecken zu wollen. Doch ein Foto auf dem Lebenslauf kann zu Vorurteilen führen. Noch bevor sich jemand überhaupt den Werdegang angeschaut hat, entscheiden Äusserlichkeiten wie Kleidung oder Gesichtsausdruck über eine Einladung zum Vorstellungsgespräch. Unbewusst unterliegen wir dem «Beauty Bias» oder «Attractiveness Bias». So haben Menschen, die als attraktiv wahrgenommen werden, bessere Chancen einen Job zu erhalten. Auch die Hautfarbe von Menschen spielt auf Bewerbungsfotos eine Rolle. Eine Studie des IZA Institute of Labor Economics hat untersucht, wie sich Namen und Foto bei Bewerbungen in Österreich auswirken. Afrikanisch-stämmige Personen erfuhren Diskriminierung, asiatisch-stämmige jedoch nicht. Schwarze Bewerber/innen hatten bessere Chancen, wenn sie einen lokal klingenden Namen verwendeten, jedoch nicht, wenn sie auf das Foto verzichteten.

Diskriminierung aufgrund Herkunft und Name

Menschen mit ausländischen Namen oder einem Migrationshintergrund müssen viel mehr Bewerbungen schreiben, um eine Chance auf einen Job zu bekommen. Eine Studie des National Center of Competence in Research (NCCR) hat herausgefunden, dass beispielsweise Menschen mit kosovarischen Namen 1,4 Mal mehr Bewerbungen als Schweizer/innen ohne Migrationshintergrund schreiben müssen, um eine Einladung zum Vorstellungsgespräch zu erhalten. Eine Untersuchung der ETH Konjunkturforschungsstelle (KOF) zeigt, dass Menschen mit Migrationshintergrund 6,5% weniger häufig kontaktiert werden als Schweizer/innen mit ansonsten identischen Merkmalen.

Geschlechterdiskriminierung im Bewerbungsprozess

Eine Untersuchung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) zeigt, dass Lebensläufe von Frauen von Personalverantwortlichen öfter schlechter bewertet werden als die von Männern. So bekamen 241 Frauen die schlechteste Bewertung, aber nur 97 Männer. Interessanterweise wurden Männer in Berufen mit hohem Frauenanteil nicht benachteiligt.

Laut der oben genannten KOF-Studie werden Frauen in Berufen mit hohem Frauenanteil bevorzugt, während in männerdominierten Berufen Männer bevorzugt werden. Eine internationale Studie im European Sociological Review kommt jedoch zu einem anderen Schluss: Sie findet keine Benachteiligung von Frauen im Bewerbungsprozess – auch nicht in Männerberufen. Hingegen zeigt diese Studie, dass Männer in typischen Frauenberufen Nachteile haben.

Ein weiteres Problem betrifft Teilzeitarbeit: Laut KOF ist es für Männer schwieriger, eine Teilzeitstelle zu finden. Der Wunsch nach Teilzeit verringert die Chance, von Unternehmen kontaktiert zu werden, bei beiden Geschlechtern um bis zu 28%. Männer sind stärker betroffen – bei einem 90%-Pensum sinkt ihre Kontaktrate um 16%, während der Nachteil für Frauen weniger als halb so gross ist.

Algorithmen und KI verstärken Diskriminierung

Zwischen 35% und 45% der Unternehmen weltweit setzen gemäss findhr KI-gestützte Tools ein – Tendenz steigend. In Algorithmen und KI-gestützten Tools werden diskriminierende Tendenzen häufig verstärkt. Denn in Trainingsdaten sind oft voreingenommene historische Muster enthalten. So werden beispielsweise «einheimische» Lebensläufe bevorzugt: In einer in Grossbritannien durchgeführten Simulation sank die Bewertung internationaler Lebensläufe im Vergleich zu britischen Lebensläufen um durchschnittlich 2-3 Punkte (von 100), vor allem bei Bewerbungen mit internationalen Ausbildungsabschlüssen. Ein weiteres Beispiel: In einer Publikation im Magazin Nature kam heraus, dass die Fehlerquoten bei der KI-Gesichtserkennung bei Frauen mit dunkler Hautfarbe im Vergleich zu Männern mit heller Hautfarbe bis zu 20-mal höher sind.

Was sind die Folgen der Diskriminierung?

Diskriminierung kostet uns alle. Arbeitssuchende werden zunehmend frustriert und landen in der Arbeitslosenspirale, weil sie keine Chance bekommen. Unternehmen übersehen passende Mitarbeitende, die sie dringend brauchen, und verstärken so den Fachkräftemangel. Eine Untersuchung von McKinsey zeigt, dass Unternehmen, die auf gut durchmischte Teams achten, erfolgreicher sind als andere Unternehmen.

Wie können wir Diskriminierung bekämpfen?

  1. Anonymisierte Bewerbungen: Wenn Bewerbungen ohne Namen, Alter, Geschlecht oder Foto eingereicht werden, zählen nur die Fähigkeiten und Erfahrungen. Das hilft, unbewusste Vorurteile zu reduzieren.
  2. Fokus auf Skills: Anstatt auf Abschlüsse oder Jobtitel zu schauen, sollten Unternehmen darauf achten, was jemand wirklich kann. Tools wie der Skills-Manager helfen dabei, die passenden Mitarbeitenden zu finden – unabhängig von persönlichen Eckdaten.
  3. Work-ID statt CV: Die Work-ID ist eine Art Visitenkarte, die nur die eigenen Skills zeigt. Keine Fotos, kein Geburtsdatum, kein Geschlecht, kein Name – nur das, was wirklich zählt.
  4. Bewerbungsprozesse überdenken: Automatische Systeme sollten nicht nach Fehlern suchen («hat keinen Abschluss»), sondern die Skills von Kandidat/innen aktiv hervorheben («kann genau die Aufgaben, die wir brauchen»).
  5. Schulungen für Unternehmen: HR-Teams sollten regelmässig geschult werden, damit sie lernen, ihre eigenen Vorurteile zu erkennen und bewusst dagegen vorzugehen.

Warum es sich lohnt

Wenn wir Diskriminierung reduzieren, gewinnen alle. Menschen haben bessere Chancen auf Jobs, die zu ihnen passen. Unternehmen finden leichter diejenigen Mitarbeitenden, die sie wirklich brauchen. Und wir schaffen einen Arbeitsmarkt, der fairer und zukunftsfähiger ist.

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